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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Urteil verkündet am 19.11.2003
Aktenzeichen: 12 UF 102/03
Rechtsgebiete: EGBGB, BGB, türk. ZGB


Vorschriften:

EGBGB Art. 14
EGBGB Art. 17 I
BGB § 1565
BGB § 1566 I
türk. ZGB Art. 166 n.F.
Die Anwendung deutschen Scheidungsrechts gem. Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB setzt nicht voraus, dass das ausländische Recht (hier: türkisches Recht) eine Scheidung schlechthin nicht zulässt oder weitaus strengere inhaltliche Anforderungen aufstellt oder erheblich längere Trennungszeiten verlangt. Es reicht vielmehr aus, dass zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Scheidung nach ausländischem Recht nicht möglich ist.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

12 UF 102/03

Verkündet am: 19.11.2003

In der Familiensache

wegen Ehescheidung

hat der 3. Senat für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Ortmann und die Richter am Oberlandesgericht Zieper und Schiemann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Antragstellers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 10. April 2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Kiel aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Kiel zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien haben am 18. August 1999 vor dem Standesbeamten des Standesamts C. /Türkei die Ehe geschlossen. Soweit der Antragsteller in früheren Schriftsätzen eine Eheschließung zunächst schlechthin bestritten und dann eine Heirat unter Zwang behauptet hatte, ist er mit seinen Nichtigkeitsklagen in Deutschland und der Türkei nicht durchgedrungen.

Aus ihrer Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.

Der Antragsteller lebt schon viele Jahre in Deutschland. Die Antragsgegnerin, türkische Staatsangehörige, kam Mitte Oktober 2000 nach Deutschland und bezog in der Wohnung ihrer Schwiegereltern in Kiel ein Zimmer. Ob der Antragsteller sich ebenfalls dort aufhielt, ist streitig. Jedenfalls seit Ende Oktober/Anfang November 2000 leben die Parteien voneinander getrennt. Der Antragsteller zog nach Hamburg zu seiner Freundin, mit der er noch heute zusammenlebt.

Den der Antragsgegnerin am 14. März 2003 zugestellten Scheidungsantrag hatte das Amtsgericht - Familiengericht - Kiel in dem von dem Antragsteller angefochtenen Urteil zurückgewiesen.

Es hatte den Scheidungsantrag des Antragstellers für unbegründet gehalten, weil die nach dem türkischen Recht erforderliche Trennungszeit nicht eingehalten und der von der Antragsgegnerin erhobene Widerspruch gegen die Scheidung nicht rechtsmißbräuchlich sei.

Im Berufungsverfahren macht der Antragsteller nunmehr erstmals - zutreffend - geltend, daß er bereits seit dem 14. November 2002 eingebürgert wurde und daher bei Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages deutscher Staatsbürger war, so daß die Ehe unabhängig vom Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen nach türkischem Recht auch gem. Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB nach deutschem Recht geschieden werden könne, da die Ehe - selbst nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils - zerrüttet sei.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Ehe der Parteien zu scheiden,

hilfsweise

unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung gem. § 613 ZPO angehört.

In ihrer Anhörung haben die Parteien bestätigt, daß sie spätestens seit Ende Oktober/Anfang November 2000 voneinander getrennt leben.

Der Antragsteller hält die Ehe der Parteien für gescheitert und die Wiederherstellung der Ehe für ausgeschlossen.

Die Antragsgegnerin widersetzt sich dem Scheidungsbegehren und hofft auf eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft.

II.

Die Berufung hat mit dem Hilfsantrag Erfolg.

Die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe der Parteien bestimmen sich nach deutschem Recht.

Zwar ist gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB zunächst türkisches Recht anzuwenden, weil beide Parteien bei Eheschließung die türkische Staatsangehörigkeit hatten und die Antragsgegnerin immer noch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Gem. Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB unterliegt die Scheidung aber dem deutschem Recht, wenn der die Scheidung begehrende Ehegatte zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages Deutscher ist und die Ehe nach dem ausländischen Recht nicht geschieden werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Unabhängig davon, ob die Ehe der Parteien zerrüttet i. S. v. Art. 166 des türkischen ZGB (früher Art. 134 ZGB) ist, wofür angesichts der allenfalls nur kurzen Zeit des ehelichen Zusammenlebens, des langjährigen außerehelichen Verhältnisses des Antragstellers zu einer anderen Frau und der langen Trennungszeit ohne Kontakte zwischen den Parteien von rund drei Jahren und dem wiederholt geäußerten unbedingten Trennungswillens des Antragstellers vieles spricht, kann die Ehe wegen des von der Antragsgegnerin erhobenen Einspruchs gem. Art. 166 Abs. 3 ZGB n. F. (früher Art. 134 Abs. 2 ZGB a. F.), nach türkischem Recht nicht geschieden werden. Der Einspruch greift auch in sachlicher Hinsicht durch, da die Schuld an der Zerrüttung jedenfalls ganz überwiegend bei dem Antragsteller liegt, der sich von der Ehe losgesagt und eine Beziehung zu einer anderen Frau aufgenommen hat. Daß der Einspruch wegen Rechtsmißbräuchlichkeit unbeachtlich sei (zu den Voraussetzungen hierfür vgl. OLG Köln FamRZ 2002 165, 166), ist nicht behauptet worden. Gründe hierfür sind auch sonst nicht ersichtlich.

Ist somit die Scheidung nach türkischem Recht derzeit nicht möglich, ist gem. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB deutsches Scheidungsrecht anzuwenden.

Die von der Antragsgegnerin hiergegen erhobenen Bedenken verfangen nicht. Insbesondere bedeutet die Formulierung in Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB "kann die Ehe hiernach nicht geschieden werden" nicht, daß das ausländische Recht eine Scheidung schlechthin nicht zuläßt oder weitaus strengere inhaltliche Anforderungen aufstellt oder erheblich längere Trennungszeiten verlangt. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (KG IPRax 2000, 544, 545 und Nachweise bei Wagner, Scheidungsrecht von EU-Auslandsdeutschen nach Inlandsrecht - europarechtswidrig?, IPRax 2000, 512, 516), versteht Art. 17. Abs. 1 S. 2 EGBGB extensiv, indem nicht abstrakt auf die zumutbare oder unzumutbare Ausgestaltung des ausländischen Rechts, sondern konkret auf den zur Entscheidung stehenden Fall abgestellt wird: Entscheidend ist danach, ob die Ehe im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nach ausländischem Recht geschieden werden kann. Ist dies der Fall, ist das ausländische Recht anzuwenden; steht dies dem Ausspruch der Scheidung entgegen, wäre letztere nach deutschem Recht aber möglich, ist die Scheidung auf dessen Grundlage auszusprechen. Daher ist Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB insbesondere auch auf den Fall anwendbar, daß lediglich die Trennungsfristen des § 1566 BGB, nicht aber die des ausländischen Rechts abgelaufen sind (Wagner a. a. O.).

Dieser Ansicht schließt sich der Senat an, weil sie im Einklang mit der gesetzgeberischen Intention bei der Neuregelung des Internationalen Privatrechts steht. Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung des Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB ausdrücklich Abstand genommen von der Regelung des Art. 17 Abs. 3 EGBGB in der Fassung vom 24.1.1935, nach der deutsches Recht nur anzuwenden war wenn die grundsätzlich maßgebliche ausländische Rechtsordnung eine Ehescheidung generell ablehnt. Durch die Neuregelung des Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB sollte eine Ehescheidungsmöglichkeit nach deutschem Recht eröffnet werden, um bei ausreichend starkem Inlandsbezug dem berechtigten Bestreben nach Wiedererlangung der Eheschließungsfreiheit Rechnung zu tragen ( Begr. RegE, BT-Drucksache 10/504, S. 61 zit. nach Wagner S. 517). Es geht hier also nicht nur um das Recht zur Scheidung, sondern auch um das Recht zur (neuen) Eheschließung (Art. 6 Abs. 1 GG). Es ist nicht Aufgabe der deutschen Gerichte (§ 606 a ZPO), die Scheidungsprozeduren und -voraussetzungen fremder Rechtsordnungen auch gegenüber eigenen Staatsbürgern durchzusetzen (Wagner S. 517).

Soweit dieser Ansicht europarechtliche Bedenken entgegenstehen können, weil im Zuge der Harmonisierung und gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union der Rückgriff auf das subsidiäre nationale Recht ausgeschlossen bzw. erschwert werden soll, kommt es hierauf im Verhältnis deutsches - türkisches Recht nicht an.

Die Scheidungsvoraussetzungen gem. §§ 1565 Abs. 1, 1566 Abs. 1 BGB liegen vor.

Aufgrund der persönlichen Anhörung der Parteien vor dem Senat leben diese seit Ende Oktober/Anfang November 2000, somit seit mehr als drei Jahre, voneinander getrennt. Die Ehe ist daher gem. §§ 1565, 1566 Abs. 1 BGB als gescheitert anzusehen.

Der Senat kann die Ehe der Parteien jedoch nicht scheiden, sondern muß die Sache gem. § 629 b ZPO an das Amtsgericht - Familiengericht - Kiel zurückverweisen.

Wenn ein Urteil aufgehoben wird, durch das ein Scheidungsantrag abgewiesen worden ist, ist die Sache gem. § 629 b ZPO an das Gericht zurückzuverweisen, das die Abweisung ausgesprochen hat, wenn bei dem Gericht eine Folgesache zur Entscheidung ansteht.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn beim Familiengericht in Kiel steht als Folgesache die Regelung des Versorgungsausgleichs zwischen den Parteien an.

Dies ist auch dann der Fall, wenn das Familiengericht wegen dieser Folgesache noch kein Verfahren eingeleitet, sondern den Scheidungsantrag von vornherein abgewiesen hat.

Die Folgesache Versorgungsausgleich steht solange beim Familiengericht zur Entscheidung an, bis über die Scheidung rechtskräftig entschieden ist, vgl. Zöller-Philippi, ZPO, 23. Aufl., Rz. 3 und 6 zu § 629 b ZPO.

Der Antragsteller hat nach § 97 Abs. 2 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil er erst im Berufungsverfahren auf seine deutsche Staatsangehörigkeit zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages hingewiesen und das Amtsgericht so zu der - aus der damaligen Sicht zutreffenden - ausschließlichen Anwendung türkischen Rechts veranlaßt hat.

Ende der Entscheidung

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